Guter Anglizismus, böser Anglizismus? – Ein Plädoyer für eine abwechslungsreiche, lebendige Sprache

von | 15. Jul 2019 | Gedanken, Schreiben, Sprache, Text

Eigentlich, ja eigentlich verfechte ich ja den Standpunkt, dass man Fremdwörter und Anglizismen nur dann nutzen sollte, wenn sie wirklich nötig sind. Ganz einfach, weil das oft dazu dient, den Schreibenden oder Sprechenden zu erheben, ihr elitär wirken zu lassen – und das konnte ich schon in der Schule nicht leiden. Sag doch einfach wie’s ist und schwurbel nicht so hochgestochen um den heißen Brei herum. Allerdings bin ich neulich doch etwas stutzig geworden, und zwar bei einem Tweet von Sascha Pallenberg. Dabei fiel mir mal wieder auf: Einfach nur Schwarz und Weiß gibt’s eben nicht, wie bei fast allem im Leben sind es die Nuancen, die auch die Sprache ausmachen.

https://twitter.com/sascha_p/status/1142765508330237952/photo/1

Beim Lesen dieser Liste mit zu vermeidenden Anglizismen ging mir echt die Hutschnur! Mal ehrlich, hast du schon einmal den Begriff „Schoßrechner“ gehört? Also ich musste zweimal lesen, bis ich es verstanden hatte. Ja, ich finde Sätze wie „Wir müssen uns mehr committen“ oder „Wir sollten die B2B issues P2P solven“ total bekloppt – da will sich doch nur jemand wichtig machen. Noch viel bekloppter finde ich aber Wörter wie „Schoßrechner“ – da ist jemand einfach in der Vergangenheit hängengeblieben und hat nicht begriffen, dass Sprache lebendig ist, dass sie sich ständig weiterentwickelt. Und dass es bei Texten – gesprochen wie geschrieben – vor allem darum geht, vom Empfänger (Leser, Zuhörer) verstanden zu werden.

Sprache ist ständig in Bewegung

Ja, unsere Sprache ist wunderschön! Und ja, wir sollten uns bemühen, auch ältere Wörter wie bauchpinseln, verhohnepiepeln, Kabuff zu erhalten. Aber wir müssen auch bedenken, dass Sprache nicht statisch ist. Sprache ist lebendig, sie entwickelt sich ständig weiter und wir sollten uns dem nicht verschließen. Auch die Sprache muss am Puls der Zeit bleiben. Vor allem aber muss sie verständlich sein.

Sprache ist dynamisch: Für wen schreibe ich, mit wem spreche ich?

Ganz stark hängt es natürlich auch von der Zielgruppe ab, für die man schreibt (oder mit der man spricht). Ich erlebe ganz oft, dass die Generation, die jetzt um die 20 ist, viel selbstverständlicher mit englischen Begriffen umgeht als die etwas Älteren. Und bei ihnen kommt es mir auch nicht komisch vor – im Gegenteil, ich passe mich sogar an, ganz automatisch, und komme mir dabei überhaupt nicht blöd vor. Wenn man verstanden werden will, dann muss man sich anpassen – in die eine oder andere Richtung. Meinem Vater mit seinen 75 Jahren muss ich nicht mit Anglizismen kommen, da gebe ich mir entsprechend Mühe, entweder deutsche Begriffe zu verwenden oder zu erklären, wo mir das nicht möglich ist. Unsere Sprache ist so dynamisch und flexibel, dass ich jedem etwas in den eigenen Worten erklären kann – und da ist es völlig egal, ob Anglizismus oder deutsches Wort, so lange ich verstanden werde.

Ein typisch deutsches Problem?

Übrigens, habt ihr schon mal einen Engländer erlebt, der sich beschwert hat, dass seine Kinder in den Kindergarten gehen oder dass die Tochter ein Wunderkind ist? Beide Begriffe sind nämlich so deutsch wie sie sind in die englische Sprache übernommen worden. Ebenso Blitzkrieg, Doppelgänger, Angst und Weltschmerz – und noch einige mehr. Beschwert hat sich darüber meines Wissens nach noch niemand.

"Angst" - ein ganz normales englisches Wort?
Screenshot aus einem englischen Artikel über eine Ausstellung in London

Beschwert hat sich hierzulande sicher auch noch niemand über Dessous oder Ballett, über eine Botique oder das Portemonnaie. Allesamt Wörter, die aus dem Französischen stammen (und bei den meisten hört man das auch, aber niemand spricht vom Verfall der Sprache, wenn sie benutzt werden. Vielleicht, weil sie schon so lange in unserem Sprachgebrauch sind, dass sie nicht mehr als Importwörter auffallen. Andere Begriffe aus dem Französischen sind übrigens wieder verschwunden wie beispielsweise Plafond (die Decke), ein Wort, das meine Oma noch verwendet hat. Und auch Trottoir hört man nur noch selten.

Keine Angst vor dem Verfall der Sprache!

Das Beispiel mit den verschwundenen französischen Lehnwörtern (so nennt man Wörter, die aus einer anderen Sprache „entlehnt“ wurden ist ein wunderbares Beispiel für den Wandel der Sprache. Nur weil wir heute viele Begriffe aus dem englischen Sprachraum verwenden, ist das noch lange kein Zeichen für den Verfall unserer Sprache, sondern lediglich eine völlig normale Entwicklung – denn viele für uns alltägliche Wörter kommen aus anderen Sprachen. Die Angst, unsere Sprache zu verlieren, ist also völlig unbegründet. Im Gegenteil, sie wird durch Lehnwörter, Anglizismen etc. eher sogar noch reicher. Weil wir viel mehr mit ihr spielen, die Sprache je nach Kontext und Zielgruppe anpassen, viel feinere Nuancen setzen können.

Nicht unnötig kompliziert machen

Aber zurück zum Thema Anglizismen. Computer ist nun mal ein Wort, dass alle verstehen. Laptop auch, ebenso Job und Trend, Tourist und Leasing, Update und Flyer. Warum sollte man beispielsweise statt Job das Wort Arbeit verwenden, das gar nicht in jedem Kontext synonym für Job verwendet werden kann bzw. das gar nicht die Feinheiten wiedergibt, die der Anglizismus in sich trägt? Denk mal über die Begriffe „Ferienjob“ und „Ferienarbeit“ nach – spürst du den Unterschied? (Ich gebe zu, das war sicher vor 30, 40 Jahren noch anders, aber heute finde ich den Begriff Ferienarbeit befremdlich.)

Und genau da sind wir bei dem Punkt, auf den ich hinaus will, auf das Spüren. Es geht beim Einsatz von Anglizismen vor allem um eines: um Sprachgefühl. Ein Gefühl dafür, welche Begriffe verständlich sind und welche eher nicht. Ein Gefühl dafür, welche im jeweiligen Kontext passend sind und welche nicht. Und um ein Gefühl für das, was bei einem Wort zwischen den Buchstaben mitschwingt. Es sind oft Nuancen, die bei einem Anglizismus anders sind als beim eingedeutschten Wort. Wie beim Beispiel mit dem Job.

Deal or no deal?

Lass mich noch ein paar Beispiele dafür bringen: „Das war ein guter Deal“ – hier könnte man auch sagen „ein gutes Geschäft“, wenn man diesen Satz völlig wertfrei nimmt. Aber wenn ich sage, es war ein guter Deal, dann kann da je nach Kontext noch Bewunderung für denjenigen mitschwingen, der das Geschäft abgeschlossen hat. In diesem Fall ist Deal viel stärker als einfach nur Geschäft. Oder wenn ich selbst diesen Deal gemacht hab, dann kann je nach Kontext mitschwingen, dass ich das nur gemacht habe, WEIL es ein guter Deal war. Oder dass ich mich darum bemüht habe, dass dieses Geschäft zu meinen Gunsten abgeschlossen wird. Das alles ist in dem Wörtchen Deal schon eingeschlossen. Bei Geschäft wäre das weniger der Fall.

Oder stellen wir uns ein Gespräch vor: „Du putzt die Fenster und ich geh so lange den Rasen mähen und die Hecke schneiden“ – „Deal!“ Klar könnte man hier sagen „einverstanden“ oder „so machen wir das“ oder etwas in der Art. Aber Deal ist hier kurz und knackig, signalisiert nicht nur Einverständnis, sondern auch, dass der Andere mit dieser Aufteilung ebenso zufrieden ist. Aus dem Mund eines 80-jährigen könnte das unter Umständen etwas seltsam klingen, wenn aber ein 30-jähriger das sagt, dann passt es. Und wenn das Ganze noch mit einem Händedruck, einem High Five oder einer Ghetto-Faust unterstrichen wird, dann passt der Begriff Deal allemal besser als irgendetwas anderes. Auch das ist Sprachgefühl, wenn wir mal davon ausgehen, dass dieser Dialog in einem Buch oder einem Film vorkommt.

Anglizismen und deutsche Wörter synonym verwenden

Oftmals spricht auch überhaupt nichts dagegen, einen Anglizismus und den entsprechenden deutschen Begriff in einem Text als Synonyme zu verwenden. Also beispielsweise Computer, PC und Rechner. Grade in Texten, in denen eines dieser Wörter häufiger vorkommen würde, finde ich es eine erfrischende Abwechslung, nicht in jedem dritten Satz das Wort Computer lesen zu müssen, sondern einfach durchzuwechseln. Das bringt Abwechslung in den Text, macht ihr lebendiger und besser zu lesen.

Ein Gefühl für die sinnvolle Verwendung von Anglizismen

Um zu unterscheiden zwischen sinnvollen Anglizismen und ebenso sinnvollen „Eindeutschungen“ braucht es Sprachgefühl. Ich sehe jetzt schon einige die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und denken „Aber ich hab das nicht“ oder „Aber ich weiß gar nicht, ob ich das hab.“ – Auch wenn ein Talent für den Umgang mit Sprache sicherlich angeboren ist (so wie ein Talent für Zahlen eben auch, der eine mag das mehr, der andere Jenes) – bis zu einem gewissen Grad kann man sich das aneignen. Viel lesen, auch mal über einzelne Wörter nachdenken, Schreiben üben, Synonyme verwenden etc. Und vor allem eins ist wichtig: Bewusst schreiben. Beim Schreiben bewusst mit der Sprache umgehen. Denn die meisten von uns haben viel mehr Sprachgefühl, als ihnen eigentlich bewusst ist.

Wenn ich für meine Kunden Texte schreibe, dann hab ich oft das Gefühl: Da stimmt was noch nicht ganz, es ist nicht rund. Und dann spüre ich dem nach, was noch nicht rund ist. Mein Sprachgefühl sagt mir, das trifft den Nagel noch nicht auf den Kopf. Also grabe ich tief im Wortschatz, brainstorme (gibt’s dafür ein sinnvolles deutsches Wort? Einfach nur nachdenken wäre mir dafür zu wenig und zu unbestimmt, das Hirn zermartern zu negativ.) und probiere aus – so lange, bis mein Sprachgefühl mir sagt: Jawohl, jetzt passt es! Und das ist etwas, das jeder tun kann: Einen Text bewusst lesen. Dann merkt man meist recht schnell, wenn ein Wort noch nicht richtig sitzt oder die Bedeutung nicht genau genug rüberkommt.

Dieses Sprachgefühl solltest du auch bei Anglizismen und bei Fachbegriffen an den Tag legen. Manche sind nämlich tatsächlich unnötig – ich erinnere nochmal an das unsägliche „wir müssen uns mehr committen“ – andere aber auch einfach sinnvoll. Ich möchte bitte nie, nie, niemals in einem Text das Wort Schoßrechner lesen müssen! Denn ganz ehrlich: Denjenigen, der sowas schreibt, den könnte ich beim besten Willen nicht ernst nehmen und dem möchte ich am liebsten den Stock aus dem Arsch ziehen! Wenn ich diese zwanghaft eingedeutschten Begriffe lese, krieg ich genauso Pickel am Hintern wie bei den pseudo-hippen Anglizismen, die kein Mensch braucht!

2 Kommentare

  1. Ein toller Beitrag, Elke! Als Anglist mag ich ja die englische Sprache besonders gern und trotzdem versuche ich sie, in meinem Marketing weitestgehend zu vermeiden. Aber ganz ohne geht es nun mal nicht. Und wie Du richtig schreibst, wir haben auch viele Wörter aus dem Französischen und da meckert (heute) keiner. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sah das aber wohl anders aus, soweit ich weiß. Wie auch immer: Solange ein Sprache lebendig ist, kann sie Importwörter bestens verkraften … mit der Zeit werden sie dann auch richtig „Deutsch“ – wie der Keks beispielsweise.

    Zauberhafte Grüße
    Birgit

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  2. Herzlichen Dank, Elke, für den tollen Artikel!

    Aber vor allem danke für den Schoßrechner! Da musste ich zuerst den Tweet lesen, weil ich gar kein Bild dazu hatte, was das denn sein soll, dafür habe ich dann herzlichst gelacht. Einfach köstlich! Und ja, ich stimme Dir zu, auch wenn mir dieses Wort einen Lacher beschert hat, ich kann mir beim besten Willen keinen Text vorstellen, in den ein Schoßrechner hineinpassen könnte …

    LG Susanne

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